Die Facetten des Verständnisses von Freundschaft sind vielfältig. Grundsätzlich aber gilt, dass wir Freunde als Menschen ansehen, die für uns in allen Situationen da sind, die uns zuhören und uns ernst nehmen. Ein Freund ist nicht ein Mittel zum Zweck. Auch nicht jemand, aus dem wir einen Nutzen ziehen. Ein Freund ist jemand, dem wir vertrauen und der für uns eine Bereicherung unseres Lebens darstellt.

Ein weiterer Aspekt von Freundschaft ist, dass Freunde unser Potential sehen. Oft sehen sie klarer als wir selbst, welche Möglichkeiten in uns stecken. Deshalb ist der Austausch mit Freunden auch so bereichernd. Sie richten und schärfen unseren Blick darauf, was Gutes und Starkes in uns steckt. Freunde sehen, wohin uns unser Weg noch führen könnte. Echte Freundschaft ist deshalb DIE Beziehungsform, die unser Potenzial entwickelt und fördert. Sie sind sozusagen “Advocaten meiner Zukunft.”

In diesem Sinne hat Führung viel mit Freundschaft zu tun. Auch eine Führungskraft sollte Anwalt der Zukunft seiner Mitarbeiter und seiner Firma sein. Das heisst: die Führungskraft sieht die mögliche Bestimmung seiner Mitarbeiter sowie der Firma und führt diese dorthin. Der Chef ist also sozusagen ein “Bestimmungsverwirklicher”. Dies geschieht nicht über Motivation der Mitarbeiter, sondern darüber, dass die Führungskraft – wie ein Freund – das Potential und die innere Motivation seiner Mitarbeiter kennt und alles daran setzt, seinen Mitarbeitern möglichst passende Aufgaben zu ermöglichen.

Um an diesen Punkt zu kommen, braucht es Zeit. Einen Menschen kennt man nicht, wenn man sein Leistungsprofil kennt. Einen Freund gewinnt man nicht über Nacht. Zeit und Gemeinschaft sind die entscheidenden Faktoren. Ein griechisches Sprichwort benennt genau das, wenn es sagt, dass man jemanden nicht kennt „ehe man zuvor nicht ein Scheffel Salz miteinander gegessen hat“. Und bis solch ein Scheffel Salz bei Mahlzeiten aufgebraucht ist, dauert es eine ziemliche Weile.

Doch als Führungskraft allein die Bestimmung der Mitarbeiter und der Firma zu kennen genügt nicht. Die wirklich grosse Arbeit ist die fortlaufende Ermutigung der Mitarbeiter. Also den Mitarbeitern immer wieder ihr Potential und die damit verbundene, erstrebenswerte Zukunft, die vor ihnen liegt, aufzuzeigen. Solange bis sie es selbst sehen, glauben und anfangen danach zu handeln. Das hat nichts mit Motivieren zu tun, sondern ist die Freisetzung der intrinsischen Motivation von Menschen. Diese innenliegende Motivation, die von äusseren Umständen in grossem Masse unabhängig ist.

In einem solchen Arbeitsumfeld entsteht eine Gemeinschaft, die über die normale Zweckgemeinschaft unter Arbeitskollegen hinausgeht. Vielmehr entsteht hier ein Entfaltungsraum, der Kreativität und Leistung freisetzt, weil den hier arbeitenden Menschen eine Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit ermöglicht wird und die Würde ihrer Person hochgehalten wird.

(Basis dieses Blogs: verschiedene, zusammengetragene Stellen aus dem Buch: “Freundschaft – Das Immunsystem der Gesellschaft” von Philipp Johner)